Montag, 26. Oktober 2009

VolkeroderGünther erklärt Lanzarote

Lanzarote wird auch die Feuerinsel genannt und um Feuerinseln zu besichtigen, muß man 6:45 Uhr am Nachbarhotel bereitstehen. Der deutsche Reiseführer im Bus heißt Volker oder Günther und erlaubt sich gleich in den ersten 20 Minuten – während der Fahrt zum Fuerteventuraer Hafen – randausländerfeindliche Kommentare zur spanischen Mentalität und der verkommenen Selbständigkeit der Jugend. Ist ja auch völlig unverständlich, daß die Eltern ihre Kinder nicht die 5km bis zur Grundschule an der 4spurigen Autobahn entlangradeln lassen wollen. Früher hätte es SOWAS nicht gegeben.
Im Bus hängen an den Fenstern kleine geraffte Vorhänge in azurblau. Neben einem solchen sitzend stellt F. fest: Der Vorhang baumelt ihr immer ins Gesicht und riecht höchst unangenehm. Aber obwohl er so stinkt, würde F. seine schattenspendende Wirkung natürlich nie verschmähen und ihn sogleich brav zuziehen, wenn die Sonne grimmig zum Fenster hereinbrütete. Die durch das Zuziehen stark vergrößerte Oberfläche könnte ihren Geruch dann noch effizienter verteilen, aber wenigstens wäre man vor unbarmherzigen UV-Strahlen geschützt. An diesem Sachverhalt sieht man, daß bereits die simple Gefahr von Hautkrebs und Netzhautablösung ein Innehalten und Umdenken gegenüber schlecht gepflegten Einrichtungsgegenständen bewirkt. Die Benutzerin blickt sogleich tief ins gutmeinende Seelenleben des Vorhangs und erkennt seine wahren Werte.
Genauso sollte es den Leuten bei übergewichtigen Menschen gehen. Allzu oft noch hört man Bösewichte Unkreatives über den kugelrunden Tischnachbarn raunen. Jeden Bissen mißgönnt der spargelige Kritiker dem dicken Miturlauber, bei Kindern wird doppelt so hart mit der imaginären Faust auf den Tisch gehauen. Auch F. nutzte früher viele Kunstgriffe der Dickenschmähung, erkannte jedoch ihr Irren und reduzierte diese unwitzigen Ausgeburten erst drastisch und dann endgültig bis fast auf Null, nachdem sie drei Wochen unfreiwillig den endlosen Geschmacklosigkeiten ihr bekannter Menschen ausgesetzt war. Ab und an ein Witz über eine 150kg Frau ist okay, genauso wie gelegentliches, aufgeklärtes Lachen über Roberto Blanco oder Witze auf Kosten hungernder/kranker/ungeimpfter Kinder und Kampflesben. Auch über häßliche Tiere darf man lachen. Der Dauerbeschuß Vollschlanker ist jedoch ungefähr so sinnvoll, wie das regelmäßige Hochwürgen vorverdauter Speisen: Funktioniert bei Greifvögeln mit Nachwuchs ganz gut, ist aber für Menschen nichts. Ob die Vogeleltern ihren Freifahrtsschein nutzen und deswegen durchgehend Witze über dicke Artgenossen oder Nilpferde machen, bleibt wieder einmal verborgen. Sie segeln aber auch immer so hoch, daß sogar ganz fette Tiere viel schlanker wirken. Gut möglich also, daß es den wilden Fliegerichen gar nicht extra auffällt und unkommentiert bleibt. Zugvögel hingegen tratschen ganz sicher über die anderen Tiere. Die Armen sind ewig unterwegs und haben zwischendurch fast nichts zu tun. Verständlich, daß einem da der eine oder andere Kalauer herausrutscht.
Aber zurück zu den Menschen. Selbst der ärgste Dickenwitzereißer wird im Angesicht der Gefahr nicht die Hilfe eines übergewichtigen Menschen verschmähen. Der Prüfling, welcher stark verspätet aus der S-Bahn springt, wird sein Examen nicht sausen lassen, weil der Taxifahrer eine fette Qualle ist. Die panische Frau im brennenden Haus wirft mit Freuden ihr gefährdetes Baby dem pummeligen Feuerwehrmann entgegen. Auch eine Prostituierte kurz vor ihrem Vorstellungsgespräch im Edelbordell wird kaum aus Ekel vor den Pfunden der Nagelstudiosa schreiend und mit angeknabberten Fingernägeln das Etablissement verlassen. Ist Not am schlanken Menschen, wendet dieser sich gern dem dicken Helfer zu. Dementsprechend sollte man auch die eigenen verbalen Entgleisungen überdenken.
Der eben geschriebene Abschnitt enthielt übrigens eine Falle. Wer diese nicht bemerkte und es versäumte, jäh zeternd aufzuspringen, um den Mißstand anzuprangern, soll mit großer Verachtung bestraft werden. Ist's der werten Leserin und dem werten Leser nicht aufgefallen? Es wurden Berufe verwendet, die noch immer auf höchst unschöne Weise dem Joch der Geschlechtsstereotypen unterworfen sind. Feuerwehrmann, Taxifahrer, Prostituierte. Die Reiseführerin wäre eigentlich auch ein gutes Beispiel, würde der vielwissende Lanzaroteguide VolkeroderGünther dem nicht tatkräftig entgegenwirken. Führer, die kompetent große Wissensmengen anhäufen, sind in der gängigen Vorstellung eher männlich. Männer führen einfach besser – allerdings nur, wenn es um gewaltfreie Auslandsaufenthalte geht. Wer bei Nacht und Nebel in Polen einmarschiert, mag zwar an sich faktisch viel auf dem Kasten haben, eignet sich aber ansonsten nur für schäbige und verheerende Dinge wie Weltkriege und Massenmördertum. Hitler war schon als deutscher Führer ein Desaster, als Lanzaroteführer möchte man sich ihn gar nicht erst vorstellen.
VolkeroderGünther hingegen machte zwar ausnahmslos schlechte Witze, wußte aber über Lanzarote jede Menge sehr interessanter Dinge zu erzählen. Die Insel hat einen ganz außergewöhnlichen Nationalpark, in dem das Ausmaß der 1730 bis 1736 stattfindenden Vulkanausbrüche beschaut werden kann. Riesige Krater, zu ewigem Pudding erstarrtes Gestein und weite Trümmerfelder auf einer haarsträubend engen Busroute – das fand F. wirklich toll. Am Ende des Tages resümierte sie, daß es sich sehr gelohnt hatte, im Morgengrauen aufzustehen. Fotos von der Vulkanlandschaft hat sie aber keine gemacht. Wo man live einen imposanten Krater sieht, zeigt das Foto am Ende nur ein kluftiges Loch. Deswegen quälte sie ihre 4GB Speicherkarte nicht mit hunderten Bildern, die durch salzig-verschmierte Busfenster über sorgsam frisierte Köpfe hinweg geschossen wurden, sondern trägt die Erinnerungen genauso ewiglich im Herzen, wie sie den muffigen Vorhanggeruch in der Nase behält. Beides zusammen ergibt Lanzarote, die Feuerinsel im Atlantik.

Montag, 5. Oktober 2009

Niedriger geistiger Wasserstand übervorteilt Nichtschwimmer

"Ich möchte ja zu gern wissen, was Du gerade denkst," bekommt F. ziemlich oft zu hören. Komischerweise fragen die Leute das in den meisten Fällen genau dann, wenn gerade gähnende Denkleere in ihrem Kopf herrscht, was zugegebenermaßen viel häufiger vorkommt, als der gemeine Freund oder Bekannte ahnt. Da werden unglaublich intellektuelle oder schöpferische sowie lästernde und wertende Gedanken vermutet, während in F.s Kopf nur die abertausendste Schleife eines Klaviersolos vor sich hin dudelt. Über die Hälfte der Zeit strömen alle möglichen Eindrücke und Beobachtungen auch fast ungefiltert wie durch einen großen Trichter in sie hinein, um irgendwo zu versickern.
Zu F.s Überraschung muß sie allerdings bei genau diesem Prozeß nach irgendetwas Fragenswertem aussehen. Vor dem Spiegel kann man das freilich schlecht simulieren, denn wer sich selbst anschaut, denkt meistens auch an das Gegenüber. F. zum Beispiel wundert sich dann, wieviele Sommersprossen sie doch hat und sieht, wie eckig ihre Nase ist. Ein Klassiker des Spiegelguckens ist auch der vergebliche Versuch, sich selbst gleichzeitig in beide Augen zu schauen. Das kann gar nicht funktionieren, wird aber wie das Anlecken des eigenen Ellbogens (ebenfalls unmöglich) gern immer wieder neu probiert. Bei dieser Gelegenheit soll noch erwähnt werden, daß man ganz schlecht schlucken kann, wenn man nach oben schaut. Dies ist zwar ein unumstößlicher Fakt, wird dennoch aber gern von Zeit zu Zeit verifiziert.
Fest steht also, daß F. selbst in Zeiten großen Stresses in mindestens sechs von zehn gefragten Fällen an gar nichts denkt. Gibt sie diese Wahrheit als Antwort auf die ganz oben gestellte, indirekte Frage 'Ich möchte ja zu gern wissen, was Du gerade denkst.', glaubt der Frager das natürlich nicht. Schließlich muß man irgendwas denken, sonst wird Zeit verschwendet. Dabei ist es oft so schön mollig warm und ereignislos in F.s Kopf, daß sie später viel mehr Energie hat, wenn es wirklich zur Sache geht. Zum Beispiel wenn man grad mit heruntergelassenen Hosen am Telefon spricht, weil jenes läutete, als man sich zum Pullern anschickte und zeitgleich die Türglocke den Paketboten ankündigt, dessen Wortfetzen aufgrund der schlecht funktionierenden Gegensprechanlage kaum zu verstehen sind. Dann ist schnelles Handeln gefragt: Hose hochziehen, Gürtel zumachen, Telefonpartner elegant vertrösten, den lauthals bellenden Pflegeschäferhund an der Heizung anketten und schließlich ganz relaxt das Paket annehmen. Wer solches souverän meistern möchte, muß meditative Phasen innerer Ebbe einplanen.
Apropos Ebbe. Der Elbstand ist momentan so niedrig, daß F. am zutage kommenden steinigen Ufer besonders vieler Slipeinlagen gewahr wird. Wie die da wohl alle hinkommen? Ob die Touristinnen auf den Elbdampfern in unbeobachteten Augenblicken ihre gebrauchten Hygieneartikel über Bord werfen? Oder sommerliche Picknickerinnen und Grillbräute in großer Not auf dem abendlichen Toilettengang hinterm Busch einfach mal eine Carefree oder Always Ultra fallenlassen? Bei den Umweltsünderinnen handelt es sich laut aktueller Beobachtungen in der Regel nicht um Tangaträgerinnen, denn die speziellen Tangaslipeinlagen hat F. noch nie am Elbufer gesehen. Gesucht werden demnach Frauen mit normalen Unterhosen. Am Ende sind die Übeltäter gar nicht weiblich, sondern böswillige, männliche Wüteriche verschmutzen mutwillig die elbnahen Erholungsgebiete, um den guten Namen ahnungsloser Damen zu besudeln. Schließlich denkt ein jeder gewissenhafte Bürger beim Anblick des unsachgemäß entsorgten Menstruationsvlieses sehr vorwurfsvolle Dinge und fordert insgeheim härtere Maßnahmen sowie punktgenaues Durchgreifen. Ist ja nachvollziehbar. Würde F. sicher auch tun. So schürt der Untergrund frauenfeindliche Gedanken und vergiftet das ansonsten harmonische Miteinander von Mann und Frau. Dies darf nicht zugelassen werden! Verteidigt den süßen Geschlechterfrieden! Zermalmt die entsetzlichen Störenfriede, die bei Nacht und Nebel Slipenlagen heimlich aus kleinen Weidenkörbchen von den Dresdener Brücken segeln lassen! Zermalmt sie mit entschlossenem Herzen und erhobener Faust!

Sonntag, 4. Oktober 2009

Mit dem Jodeldiplom aus der Krise

Dieses Wochenende hätte theoretisch bei F. und A. die Klospülung kaputt sein können. Da die ältere Dame aus dem Hauseingang nebenan etwas dagegen hat, wenn man sich auf dem Rasen im Hof entleert, wäre man gezwungen gewesen eine andere Lösung zu erdenken. Was läge also näher, als in die Badewanne zu machen und das Ganze zu sammeln, bis die Toilette wieder einsatzfähig ist? Natürlich geht so etwas nur bei geöffnetem Fenster, um unangenehme Gerüche rechtzeitig abzuleiten. Dabei sollte auch die Heizung geschlossen bleiben, um keine Energieressourcen zu verschwenden. Nach zwei Tagen und ein paar Besuchern zwischendurch sähe die Wanne relativ voll aus. Dann wäre das Klo aber sicher auch repariert, selbst an Feiertagen. Zu Aller Erleichterung ist jedoch alles paletti mit der Toilettenspülung. Dieser Kelch ging leer an A. und F. vorüber.
Total voll war am Freitag hingegen die Gläserne Manufaktur von VW - voller Volkswagen. Der nur oberflächlich informierte Fabrikbesichtigungsführer mit den feschen Kotletten wies auf gelenkschonendes Parkett und geräuscharmes Arbeitsambiente hin, konnte aber zu Motorisierungsdetails nichts Genaues sagen. War am Ende auch nicht so schlimm, denn F. würde sich sowieso niemals einen Phaeton kaufen. Untertreibungen sind nämlich gar nicht ihr Ding und ein 180.000 Euro Auto, das aussieht, wie ein zu groß geratener Passat, kann man wohl doch zu selbigen zählen. Das VW-Werk an sich schaut dagegen innen wie außen gleichmäßig gut aus. Man federt gelenkschonend durch die Etagen und bewundert die weiß gekleideten Mitarbeiter, die ihrer wahrscheinlich sehr eintönigen Arbeit wenigstens zu vernünftigen Löhnen nachgehen dürfen. Überhaupt sollten langweilige Berufe höher bezahlt werden, als interessante. Wer dann die höchste Vergütung bekäme, bleibt herauszufinden. Wahrscheinlich U-Bahn- oder Taxifahrer. Erstere sitzen nur in der Kabine und tun so, als würden sie zur Steuerung der Bahn mehr beitragen, als das Öffnen und Schließen der Türen, Letztere hängen die meiste Zeit ab und fahren hellgelbe Autos. Dabei atmen sie Duftbäumchengeruch ein und schmauchen unablässig Zigaretten, ihr täglich Brot mit einer Fähigkeit verdienend, die fast jeder Bürger auch erworben hat: Autofahren. Selbiges gilt für Schaffner. Wo liegt der Kick einer Profession, bei der man nur durch Züge laufen muß? Das kann sogar F. und die ist sonst eher ungelenk. Würden Schaffner auf Skateboards durch die Abteile brausen und Fahrscheine knipsen, wäre es etwas Anderes. Aber nein, sie laufen in verwurschtelter Uniform so vor sich hin. Keine gute Vorraussetzung für Schickheit und sportliches Auftreten, dafür aber nach dem F.schen Modell für sehr viel Langeweile und mehr Geld.
Auf der Görlitzer Straße gibt es für ganz wenig Geld die erste Fetawurst Deutschlands zu kaufen - und zwar für 99 Cent. Wie interessant der Obst- und Käseverkäuferjob des Obst- und Käseverkäufers ist, weiß F. nicht. Am Preis der Fetawurst kann dies ja auch nicht sicher festgestellt werden. Tendenziell tippt sie aber auf unfassbar bis erschütternd langweilig. Deswegen designt der Kaufmann in seiner Freizeit auch innovative Dinge wie die Fetawurst. Man muß schließlich geistig fit bleiben. Vielleicht auch noch einen zweiten Bildungsweg in Richtung Kunst oder Musik einschlagen. Dann hat man was Eigenes. Dann hat man das Jodeldiplom.