Mittwoch, 28. September 2011

Missionieren will gelernt sein

Endlich! Nach dem Umzug ist in der neuen Wohnung so gut wie alles fertig und benutzbar, die ersten drei Schulwochen (von denen F. die letzten drei Tage krank daheim saß) sind vorüber und nun ist Zeit, auf eine Meinungsbekundung von vor vier Wochen zu antworten, die F. in ihrer logischen Inkohärenz doch sehr verwundert hat.
Manja schrieb: "Ikea also. Soso. Ich habe kürzlich gelernt, dass Ikea in Russland illegal Wälder abholzen lässt, damit sie ihre Produkte "schön" billig verkaufen können. Die Mitarbeiter werden schlecht bezahlt und überhaupt - Ikea - Das kann doch gar nicht gut sein. Wenn ich jetzt noch eine Quelle hätte. Aber nein, ich habe sie vergessen. Ihr kreativen, jungen Köpfe, kauft doch lieber Holz aus unseren nachwachsenden Wäldern und baut und schraubt euch eure Möbel selbst zusammen."
Besonders der letzte Satz  haucht seltsam daher. Aber fangen wir doch von vorn an. Punkt 1: Trotz mangelnder Quellen bezweifelt F. nicht, daß Ikeas Schleuderpreise außer auf extrem gute Logistik und ein exzellent durchdachtes System auch auf wenig beklatschenswerte Geschäftspraktiken zurückzuführen sind. Bestimmt ist das so, da stehen große Konzerne sowieso unter einem gewissen Generalverdacht. Dennoch wird es nicht Ikea sein, das in Rußland illegal Wälder abholzen läßt, sondern Rußland beherbergt offensichtlich Bürger, die vor illegalen Geschäften nicht zurückschrecken und Ikea Tür und Tor für solche Praktiken öffnen. Konsequenterweise müßte man hier also nicht nur Ikea, sondern auch die russische Regierung für ihr Verhalten belangen.
Punkt 2: Werden die Mitarbeiter schlecht bezahlt? Welche Mitarbeiter? Der Abteilungsleiter, der Lagerarbeiter oder das kleine Verkaufshäschen am Küchenplancomputer? Schlecht bezahlt in Hinsicht auf welchen Maßstab? Setzt man den Maßstab der Ausbildungszeit im Vergleich zur Einstiegsbezahlung und dem tatsächlichen Arbeitsaufwand an, wird F. zum Beispiel nicht nur schlecht, sondern geradewegs miserabel bezahlt. Bei 100% Standardarbeitszeit 50 bis 60 Stunden pro Woche nach acht (!!!) Jahren Studien- und Ausbildungszeit inklusive obligatorischer Auslandsaufenthalte auf eigene Kosten und natürlich einem Abitur ist das unterm Strich ein elender Deal. Trotzdem verschwenden Millionen von Eltern in Deutschland keinerlei Gedanken daran, ihre Kinder wegen schlechter Bezahlung der Lehrer nicht in die Schule zu schicken und viele Lehrer üben den Beruf mit Freude und Zufriedenheit aus. Ebenso wie zahlreiche Ikeamitarbeiter, die schon jahrelang dort beschäftigt sind (letztens haben A. und F. sogar mit jemandem gesprochen, der extra deswegen nach Ba-Wü gezogen ist).
Punkt 3: Der Satz, der F. genug zum Schmunzeln gebracht hat, daß sie diesen Blogeintrag schreiben mußte! Nicht oft wird man als kurz vor der 30 stehender Mensch von einem nicht wenig älteren Menschen als 'junger, kreativer Kopf' bezeichnet. Da fühlt man sich noch jünger, als man tatsächlich ist! Der wahre Brüller ist aber der abschließende Vorschlag, selbst Holz 'aus unseren nachwachsenden Wäldern' zu kaufen und daraus Möbel zu bauen. MacGyver könnte das sicher mit einem Schweizer Taschenmesser und einer Spule Angelschnur in 45 Minuten minus der Werbepausen, F. und A. aber nicht.  Ob das Holz aus den hießig angebauten, schnell nachwachsenden Monokulturwäldern soviel toller und nachhaltiger ist, als illegales Teufelszeug aus Rußland, muß an dieser Stelle unerörtert bleiben. Selbst wenn A. und F. als Menschen ohne Handwerksberuf utopischerweise die Expertise hätten, besagte Möbel 'zusammenzuschrauben', fehlte ihnen doch weiterhin die Zeit, das Geld und die Örtlichkeit, um ein solches Vorhaben erfolgreich durchzuführen. Viel konstruktiver und realistischer wäre hier der Vorschlag gewesen, Möbel aus verantwortungsvoller Herstellung oder zweiter Hand zu kaufen.

Auf Grund dieser drei Punkte verwandelte sich ein sicher gut gemeinter Kommentar zum Blogeintrag in eine Lachnummer. Obwohl F. und A. Ikea (und viele andere Möbelhäuser) mit gleichbleibender Intensität doof finden, werden sie auch weiterhin dort ihre Einrichtungsgegenstände kaufen. Die Gründen dafür verteilen sich wie folgt:
  • 25% Unfähigkeit und Faulheit bzw. der Überzeugung, daß die leichte Förderung des Übels in der Welt in Kauf genommen werden kann und muß, wenn dabei Freizeit herausspringt.
  • 50% mangelnde finanzielle Ressourcen
  • 25% Unlust, sich mit Möbelfragen zu beschäftigen
Sie kompensieren diese Sünden durch besonders gutes Informiertsein im Bereich Biosiegelrichtlinien bei der Lebensmittelherstellung. Ein viel übersichtlicherer, erfolgsversprechenderer Markt. 

P.S.: Es erstaunt F. immer wieder, wieviele Leute tatsächlich denken, sie hätte gewisse Mengen an Idealismus in ihrem Bewußtsein angesammelt, wo dies doch überhaupt nicht der Wahrheit entspricht. Ob's die natürlich Ausstrahlung ist? Oder der Beruf? A. weiß es auch nicht... 

3 Kommentare:

  1. Ich ahnte, dass du das nicht unkommentiert lässt, aber mit solcher Ausführlichkeit habe ich nicht gerechnet. :-)
    Mein Kommentieren ist kein Missionieren. Ich erwähne gern etwas und was der einzelne Mensch daraus macht, ob er sich weiter informiert oder nicht, ist mir schlussendlich egal. Meist habe ich keine Lust zu diskutieren oder etwas ausführlich zu erläutern, weise gleichzeitig aber richtig gern auf interessantes, gehörtes und gesehenes hin, weil ich davon ausgehe, dass Menschen gern neues erfahren und sich damit auseinandersetzen, sofern es sie interessiert. Ich sehe es aber eben nicht als meine Aufgabe Leute zu missionieren. Eine Lachnummer ist das meiner Meinung nach nicht. Es mag sein, dass es an Ausführlichkeit fehlt, aber ich schreibe ungern Aufsätze.

    Vermutlich ist mir der Brüller-Vorschlag über die Tastatur gerauscht, weil wir ihn daheim praktizieren. :-P Vielleicht war er genauso überflüssig wie der ganze Kommentar, von dem ich ausging, dass er dich interessieren könnte. Ich wollte nicht über dich richten.

    Die Studienfinanzierungsfrage finde ich übrigens faszinierend und habe erst kürzlich einer Diskussion gelauscht. Studiengebühren hast du vermutlich nicht bezahlt, die Damen und Herren Professoren, ja die ganze Ausstattung der Universität wird zumeist von der arbeitenden Bevölkerung bezahlt. Und obgleich der Studierende eine Menge Zeit investiert und es für ihn etwas schwierig ist seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wenn er keine (weiteren) staatlichen Förderungen erhält, kostet ihn seine sehr gute Ausbildung vergleichsweise wenig. Aber das nur am Rande. Nur ein bruchstückhafter Kommentar, der den gesellschaftlichen Aspekt eines gut ausgebildeten Menschen nicht berücksichtigt hat. Dabei belasse ich es nun auch, ob du es hier weiter ausführst oder nicht, weil es mir mittlerweile unfreundlich erscheint, so auf einem Blog zu kritzeln der nicht der meinige ist. Entschuldige.

    AntwortenLöschen
  2. vollständigkeitshalber die Quelle

    http://www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2011/0801/00_ikeacheck.jsp

    AntwortenLöschen
  3. die, welche auch ungern Aufsätze schreibt, grinst ma bissi hier rüber nach :-)

    AntwortenLöschen